Ochstales

Neues vom Roten Ochsen

Beuschel? Ist das was mit Hirn?

27.10.2019

Nose to tail. Seit das Kochbuch mit dem Zusatz „Kultbuch“ auf Deutsch erschien, wurden Innereien (gesprächsweise) salonfähig – in Wien war es nie anders, wo bittesehr das „Salonbeuschel“ den Herren Künstlern in den Kaffeehäusern serviert wurde. Der neue Protagonist der Verwertung von der Nase bis zum Schwanz, Fergus Henderson, führt seit 1994 sein Restaurant (heute drei) in London mit der Philosophie, alle Teile eines Tieres zu verehren. In Feinschmeckerküchen waren Lunge, Herz, Milz, Nieren, Kutteln, Ohren, Füße nie weg. Die französische Andouillette ist ein Kulturprodukt, der große Chef Paul Bocuse liebte aber auch die sauren Kutteln auf Schwäbische Art,  Trippa und Lampredotto gehören zu Florenz wie David mit allen Teilen, Rigatoni con la Pajata haben eine Menge ahnungsloser Touristen in Rom mit hohem Genuss verspeist. Kalbsdarm. Typischer Fall von italienseliger Blindverkostung. Kaum versteht der Mensch, was er isst, ist schon wieder Schluss mit dem erweiterten Horizont. Selbst im aufgeschlossenen Radiosender Bayern 2 schüttelte sich die Moderatorin hörbarbar, als sie das Wort „Schafsinnereien“ in dem Mund nehmen musste und fügt hinzu, „so weit muss es ja nicht gehen“. Wie weit denn? Bis zum feinen Lammrücken schon und der rosa gebratenen Keule, aber nicht bis zu den lebenserhaltenden Teilen, die dafür sorgen, dass das Tier so schön heranwachsen kann? Schafsmagen igitt. Wobei unser Wiedervereinigungskanzler Staatsgäste einst gerne mit Pfälzer Saumagen konfrontierte, den wiederum Lady Thatcher aus dem Empire des Schafsmagens gar nicht amüsant fand. Paul Bocuse schon. Allerdings wird da ein gewaschener Magen mit Fleisch und Kartoffeln gefüllt, harmloser als ein klassischer Pressack, Innereien light. Wie Leberwurst. Darf’s die mit dem Golddarm sein? Ja, wenn Glucosesirup, Dextrose, Emulgatoren E472 b und c, Gewürzextrakt, Natriumnitrit, Antioxidationsmittel, Ascorbinsäure und ganz ganz viel Fett dabei sind, wundervolle Zusatzstoffe, bei denen die sensiblen Gaumen anscheinend nicht erschauern. 29,5 Kilo Wurst essen Deutsche durchschnittlich pro Kopf und Jahr, insgesamt 60 Kilo Fleisch, davon 200 Gramm Innereien. Das sind nicht ganz aktuelle Zahlen aus dem Weltagrarbericht, zeigen aber die Richtung: der Fleischverzehr hat sich verdoppelt, die weniger edlen Teile sind nur noch mit einem Fünftel im Vergleich zu früher dabei. Wenn ein Gastronom beim Schäfer, Bauern, Jäger ein ganzes Tier kauft, bekommt er ein Problem: Die weniger edlen Teile sind nicht gefragt, die Leute mögen Lendchen und Schnitzel. Das ist schade, weil die guten Erzeuger von der Wertschätzung des ganzen Tieres leben. Schade vor allem, weil so viel Geschmack verloren geht. Die feine mürbe Muskulatur vom Herz, würzig und zart die Nierchen, edel wie ein Filet eine cremig rosa gebratene Leber, seidig die Kutteln. „Luftig filigran“ müssten sie sein, befand der unvergessene Küchengrantler Wolfram Siebeck und fragte: „Wieso ekeln sich die Deutschen vor Produkten, die bei fast allen Nachbarn als Delikatessen gelten?“ Außer den Haaren, sagte er, sei fast alles essbar von einem Viech, schmecke sogar köstlich, wenn es nur gut zubereitet werde. Genauso ist es. Wir gehen fast jede Wette ein, dass viele mit fliegenden Fahnen überlaufen, täten sie bloß einmal den einen kleinen Hüpfer über den Schatten. Das Schnitzeleinerlei ist eine traurige Einöde mit Soß – als würden wir von allen Gemüsen, die es gibt, nur Gelberüben verzehren. Dagegen gehalten hatte allzeit Richard Luber im Goldenen Löwen von Kallmünz mit Herzkrapferl in der Consommé, Zunge, Kronfleisch und Nieren, Saurem Lüngerl und Kutteln auf Böhmische Art – die jungen Löwen führen das jetzt beherzt auf ihre Art fort. Wir aber sind an einem Sonntag bei Susi Stangl und Familie in Kalsing. d’Weiberwirtschaft dort versteht sich ausdrücklich und stolz als Dorfwirtshaus und hat gleich zweierlei Beuschel in der Küche – vom Zicklein und vom eigenen Coburger Fuchslamm. Was für ein Genuss!

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